Mythos der Teilnehmerorientierung?

Lehr- oder Lernziele?

Im Vorfeld ist alles klar, das Training ist geplant und startet genau so, wie es sich der Trainer vorgestellt hat. Und dann kommt doch alles anders:

Die Teilnehmenden äußern Anliegen und Vorstellungen, die in der Vorbereitung des Trainers keine Rolle gespielt haben. Jetzt ist Teilnehmerorientierung gefragt.


 

Worüber reden wir eigentlich?

Teilnehmerorientierung ist das didaktische Grundprinzip, das Seminar an den Bedürfnissen, Interessen und Erfahrungen der Teilnehmenden auszurichten. Hier wird aber bereits von der Durchführung der Lehr-Lernprozesse gesprochen. In der Vorbereitung einer Trainingsmaßnahme ist diese Sichtweise mit dem Begriff der „Zielgruppenorientierung“ beschrieben. Teilnehmerorientierung bedeutet also hier, dass der Trainer während des Trainings konsequent abprüft, ob die Bedürfnisse der Teilnehmenden tatsächlich noch erfüllt sind.

Sollte dem nicht so sein wird freilich eine Reaktion erwartet, die Inhalte oder Methoden sollten sich ändern. Dies scheint in der modernen Erwachsenenbildung völlig außer Frage zu stehen und Allgemeingut zu sein, wogegen vermutlich kein Trainer protestieren würde.

Ist das praktikabel?

Wenn aber die Teilnehmerorientierung ein derart zentrales Prinzip ist, müssten ja die Erwartungen, Voraussetzungen und Bedürfnisse der Teilnehmenden stärker berücksichtigt werden als die eigentlich geplanten und methodisch- didaktisch sauber ausgearbeiteten Lerninhalte? Diese sind also gar nicht so relevant.

„Teilnehmerorientierung bezieht sich auf die Erfahrung und die Biografie der Teilnehmenden. Das bedeutet, dass die Inhalte, Ziele und Methoden einer Lehrveranstaltung von den Teilnehmenden aus, auf die Teilnehmenden hin und mit den Teilnehmenden gemeinsam bestimmt – und nicht allein von der Lehrkraft festgelegt werden.“ (Kathrin Quilling, 2015-2016 Deutsches Institut für Erwachsenenbildung/Projekt wb-web/EULE)

Aber ist das im Seminarbetrieb überhaupt möglich? Und wiederspricht dieses Prinzip der Partizipation der Teilnehmenden nicht recht häufig dem Erfahrungsschatz von Lernenden in der Erwachsenenbildung. Wird dort nicht oft ein externer Trainer von einem Auftraggeber „angeheuert“, um eben als Experte für Thema x bestimmte Lernziele zu erreichen. Bzw. – um es ehrlicher zu sagen: Um bestimmte Lehr-Ziele zu erreichen. Denn ob diese Lehrziele gleichzeitig auch Lernziele der Lernenden sind gilt es erst herauszufinden.

Zusätzlich ist auch im eigenen Selbstverständnis vieler Trainer die Einsicht schwer vermittelbar, das ihr jahrelanger Erfahrungsschatz mit dem damit einhergehenden Aufbau von Expertise eventuell gar nicht das ist, was die Teilnehmenden jetzt brauchen. Auch wenn der Trainer das Gefühl hat genau zu wissen, was jetzt nötig wäre, um eine mögliche Handlungsschwierigkeit der Teilnehmenden aufzulösen.

Auch hier beißt sich womöglich das Lehr-Interesse des Trainers mit dem Lern-Interesse der Teilnehmenden. Nach Klaus Holzkamp gilt es hier, ganz konsequent vom Standpunkt des lernenden Subjekts aus zu schauen, was genau „gelehrt“ werden soll.

Oder anders: Es braucht hier nach David E. Hunt das „reading“ und „flexing“ im Umgang mit Teilnehmergruppen. „Reading“ bedeutet, dass man die Gruppe aufmerksam „liest“, wahrnimmt und spürt, was im Raum, in der Gruppe oder beim Einzelnen passiert. Das gelingt durch genaues Beobachten. „Flexing“ hingegen meint, dass man auf Situationen flexibel und kompetent reagiert (Holm, 2012, S. 11). Je größer die Methodenkompetenz, desto leichter wird das „flexing“.

Wird also während einer Veranstaltung klar, dass die Teilnehmenden andere Erwartungen haben, sollte der Trainer darauf reagieren können und gemeinsam mit den Teilnehmenden über den weiteren Fortgang des Trainings sprechen. Hier sind beispielsweise Methoden wie Partnerinterviews, Erwartungsabfragen, Reflektionsrunden oder Feedback-Schleifen hilfreich.

Das ist bezüglich erfolgreichen Lernens definitiv eine notwendige, aber auch sehr anspruchsvolle Aufgabe für jeden Erwachsenenbildner. Gerade heterogene Lerngruppen mit unterschiedlichen Hintergründen und Ansprüchen überfordern womöglich die Trainer, da diese eine hohe Anforderung an die Fähigkeit zur Teilnehmerorientierung stellen.

Und wenn der Trainer mit den formulierten Erwartungen überfordert ist rettet er sich womöglich damit, das er sein „vorher geplantes und mit dem Auftraggeber besprochenes Programm abspult“, was dann höchstwahrscheinlich an den Lerninteressen der Teilnehmenden vorbei geht und das zentrale Prinzip der Teilnehmerorientierung lediglich zu einem in Trainerausbildungen gerne erzählten „Mythos“ verkommen lässt.

Denn Lernen wird nur dadurch ermöglicht, dass Teilnehmende ihre eigenen Themen erkennen, wenn sie sehen, dass ihre Anliegen bearbeitet, ihre Erwartungen berücksichtigt werden.

 

 

« zurück